EduTale News
Rollenspiel in der Familie – Erfahrungen und pädagogische Perspektive
Ein sonniger Sonntagmorgen. Nach einer mehr als dreimonatigen Pen-&-Paper Rollenspiel-Kampagne mit der Familie und befreundeten Nachbarn mit Kindern, reflektieren ich mit meinem Mann Hendrik über das Erlebte, seinen Spielansatz und meine pädagogische Perspektive darauf.
Hendrik: Bekannte Bücher und Filme wecken bei unserer Familie schon lange das Interesse, diese Geschichten auch in einem Pen-&-Paper Rollenspiel zu erleben. Seien es My Little Pony, Herr der Ringe/der Hobbit, Avatar oder Harry Potter. Die entsprechenden Pen-&-Paper Rollenspiele gibt es, teilweise auch in mehreren Varianten. Mein Abenteuer war es, meine Familie und eine befreundete Nachbarsfamilie, die noch keine Erfahrung mit dieser Art von Spiel hatte, daran heranzuführen: Mit Whattsapp, kleinen Videos und Informationen Stück für Stück.
Kathrin: Guter Ansatz. Bekannte Welten geben Spielenden Vorwissen und Sicherheit. Sie können sich so viel leichter auf das Spiel einstellen, da sie den Ton der Welt kennen und wissen, wie sich Figuren darin bewegen. Sie können so viel selbstbewusster einsteigen, da sie bereits Experten der Welt sind, selbst wenn sie die Spielmechanik nicht kennen. Erklärungen und Videos können neugierig machen und motivieren. Man sollte allerdings damit auch nicht übertreiben. Wenn die Erwartungen zu groß werden, kann man diese als Spielleiter*in kaum noch erfüllen. Außerdem kann man damit die Spielenden verschrecken, die unsicher sind, ob sie dem Anspruch gerecht werden. Das richtige Maß ist hier wichtig.
Hendrik: Wir spielen als Familie mit drei Kindern im Alter von aktuell 7, 11 und 13 Jahren seit ca. 2-3 Jahren regelmäßig Pen-&-Paper Rollenspiele. Zunächst trauten wir uns an Beyond the Wall von System Matters, dann folgte eine lange Phase mit Tales of Equestria, die My Little Pony Adaption von Pegasus Spiele. Den Klassiker der Pen-&-Paper Rollenspiele ‚Das Schwarze Auge‘ von Ulisses Spiele spielten wir nicht, sondern versuchten die kindgerechte Variante ‚Die schwarze Katze‘, ebenfalls von Ulisses Spiele. Freunde und Nachbarn, mit oder ohne Kinder, bekamen mit, dass wir nicht die üblichen Brettspiele mit unseren Kindern spielten, sondern gemeinsam Geschichten erzählten und erlebten. Das weckte bei einer gut befreundeten Familie die Neugier und die Idee geboren, gemeinsam ein neues Spiel zu entdecken. Und der gemeinsame Nenner war schnell gefunden: Das in 2022 neu verlegte ‚The One Ring‘ von Free League sollte es sein. Denn alle Erwachsenen und Kinder kannten und mochten die Geschichten aus Mittelerde, sei es aus den Büchern J. R. R. Tolkiens oder den Verfilmungen von Peter Jackson. Für mich war dies übrigens einer der Momente, in dem mir klar wurde, wie sehr Literatur, Filme und Pen-&-Paper Rollenspiele sich gegenseitig beeinflussen, aber das ist einen eigenen Blogbeitrag wert.
Kathrin: Alle von uns ausprobierten Spiele boten einen erleichterten Zugang: Beyond the Wall ist so etwas wie „allgemeine Fantasy“, bei dem man kein Wissen über eine bestimmte Welt braucht, sondern diese erst entwickelt. My Little Pony und der Hobbit war den Kindern bekannt. Aventurien kannten die Kinder nicht, aber sie konnten sich gut vorstellen, wie sie sich als Katzen verhalten würden. Hier war die Welt weniger wichtig, als die tierische Perspektive. Die Schwarze Katze hat streng genommen auch keine Regeln für Kinder, sie sind nur etwas leichter als die DSA-Regeln. Es gibt allerdings stark vereinfachte Regeln im DSK-Kompendium.
Hendrik: Ich fragte mich: The One Ring auf Englisch mit Kindern und Pen-&-Paper Neulingen – geht das? Ich versuchte es mit einer emotionale Ansprache und mit Medien, die einfach waren und gerne von allen Spieler*Innen benutzt wurden: Whattsapp und Videos. Ich gründete eine Whattsapp-Gruppe und begann, Stück für Stück durch kleine Videos die Gruppe zusammen und an das Spiel heran zu führen. Über eine Woche postete ich jeden Tag kleine Informationen, Bilder, Videos und Texte. Zunächst begann ich mit einer Erklärung, wie wir die Whattsapp-Gruppe nutzen können. Es folgte eine Beschreibung von Mittelerde und Tolkiens Welt und eine Einordnung des geplanten Abenteuers in die Zeit zwischen ‚Der Hobbit‘ und ‚Der Herr der Ringe‘. Ich stellte die Charaktere, sechs Hobbits, vor und jeder konnte sich einen Charakter aussuchen. Es gab unerwarteter Weise gar keinen Zank darüber, wer wen spielen wollte. Erst nachdem ich Lust auf die Welt und die Charaktere gemacht hatte, erklärte ich in einfachen Worten, wie ein Pen-&-Paper Rollenspiel gespielt werden kann. Und da ich die Regeln von ‚The One Ring‘ noch gar nicht so gut kannte, war klar, dass wir diese Regeln und die Welt gemeinsam und Schritt für Schritt erkunden würden. In dem letzten Videos war es mir wichtig zu vermitteln, dass ich als Spielleitung Teil der Gruppe bin, dass sich jeder in der Gruppe wohl fühlt, und dass wir gemeinsam besprechen würden, wie wir als Gruppe in den nächsten Abenteuern miteinander umgehen wollen. Ich kündigte also eine klassische Session Zero als erstes reales Treffen an unserem Tisch an. Unser erstes Treffen bestand im ersten Teil aus allem, was in so eine Session Zero hinein gehört. Wenn ihr mehr darüber erfahren wollt, empfehle ich folgendes Video von Peter Wiezorek https://www.youtube.com/watch?v=4H_wx_b3q8c
Kathrin: In der Session Zero muss natürlich nicht alles Denkbare abgehandelt werden. Gerade Kinder sind dadurch auch schnell überfordert. Wichtig ist vor allem, dass zu Beginn signalisiert wird, dass jeder Bedürfnisse äußern darf und soll und diese gehört werden, mit dem Ziel, für alle eine möglichst angenehme Spielrunde zu schaffen.
Hendrik: Guter Punkt. Fragen wie ‚Darf ein Charakter sterben‘, ‚Arbeiten wir zusammen oder auch mal gegeneinander‘ oder ‚wovor haben wir Angst und was soll nicht vorkommen‘ wurden schnell in unserer Gruppe geklärt und nach einer kleinen Pause begannen wir im zweiten Teil endlich zu spielen. Das Licht wurde gedämmt, passende Musik abgespielt und etwas Dekoration verteilt. Diese äußeren Elemente waren für alle bereichernd und haben uns direkt in das Abenteuer katapultiert. Und ab dem Punkt war das Spielen mit Kindern und Rollenspiel-Neulingen ein Selbstläufer. Innerhalb von drei Monaten haben vier Erwachsene und vier Kinder im Alter von sieben bis 13 Jahren fünf Hobbit-Abenteuer aus ‚The One Ring‘ durchgespielt. Und alle wollen weiterspielen.
Kathrin: Obwohl The One Ringe (oder auf Deutsch „Der Eine Ring“ erschienen bei Truant) nicht speziell für Kinder konzipiert wurde, hat es für uns in der Konstellation als Familie sehr gut funktioniert. Gerade die Einsteigerbox bleibt im Auenland, in der Welt der Hobbits. Die Aufgaben sind vielfältig, Kampf ist eher die letzte Alternative (Hobbits sind nicht für ihre aggressive Verhaltensweise bekannt). So lernen die Spielenden viele Lösungsoptionen für Konflikte kennen und lösen nicht von Anfang an alle Probleme mit Gewalt.
Hendrik: Mein Fazit: Regelleichte Systeme und eine einfache Heranführung an die Welt und die Regeln sind wichtig, damit auch Kinder und erwachsene Neulinge die Lust am Pen-&-Paper Rollenspiel bekommen. Dabei darf die Spielleitung durchaus kreativ sein und die Mitspielenden dort abholen, wo sie sind.
Kathrin: Wenn ich überlege, was bei diesem Spiel der besondere Lerneffekt war, dann ist es der Umgang mit dem Scheitern. Nimmt man die Regeln in diesem Spiel genau, dann kann man sehr leicht Aufgaben auch mal nicht schaffen. Kein Wunder, man spielt ja nur kleine Hobbits. Natürlich kann die Spielleitung für ein Fail Forward sorgen – dass nicht geschaffte Versuche die Handlung trotzdem vorantreiben. Für die Spielenden kann es trotzdem frustrierend sein. Oder auch nicht. Denn gerade kleine Hobbits können versagen, ohne sich einen Zacken aus der Krone zu brechen. Es sind ja nur kleine Hobbits, denen muss nicht alles gelingen. Die versuchen es wieder, trösten sich oder denken sich neue Lösungen aus.
Ich hoffe, ihr könnt einiges für eurer Rollenspiel mit Kindern und Neulingen mitnehmen.
Mit würfeligen Grüßen,
Eure Kathrin Fischer